Was hat Thermodynamik mit der Kreislaufwirtschaft zu tun? by Yves Stettler
Die Umstellung der Energieversorgung in der Schweiz sollte ganzheitlich betrachtet werden. Wir befassen uns mit den Auswirkungen der Thermodynamik auf die Kreislaufwirtschaft und dem Einfluss des Kreislaufwirtschaftsgedankens auf die Energiesysteme.
In den letzten Tend-Blogeinträgen zum Thema Energie haben wir uns mit aktuellen Energiethemen wie Energieknappheit und Energiewende befasst. Auch wenn derzeit in Wirtschaft und Politik vieles zum Thema Energie in Bewegung ist und uns genügend Stoff für weitere Blogeinträge liefern würde, wollen wir uns in diesem Artikel mit einigen weniger neuen, aber nicht weniger wichtigen Grundlagen beschäftigen. Denn mit dem ersten und zweiten Hauptsatz der Thermodynamik, den die meisten von uns im Physikunterricht der Sekundarschule gelernt haben, lässt sich erstaunlich viel für unsere Arbeit als Energieexperten ableiten. Zudem zeigen sie uns die Grenze der Kreislaufwirtschaft auf. Wenn Sie die beiden Hauptsätze der Thermodynamik im Schlaf zitieren und den Unterschied zwischen Anergie und Exergie erklären können, sind Sie heute nicht unser Zielpublikum. Wenn Sie aber nicht erklären können, warum wir einen Energiemangel ausrufen, während wir einen Energieüberschuss auf der Erde als Klimawandel wahrnehmen, dann empfehlen wir Ihnen weiterzulesen.
Der erste Hauptsatz
Der erste Hauptsatz der Thermodynamik besagt, dass verschiedene Energieformen ineinander umgewandelt werden können, dass aber Energie weder erzeugt noch vernichtet werden kann.
Wenn wir also einen Energieumwandlungsprozess haben, wie z.B. das Verbrennen von Holz (chemische Energie wird in Wärmeenergie umgewandelt) oder das Erhitzen von Wasser mit einem Wasserkocher (elektrische Energie wird in Wärmeenergie umgewandelt), dann bekommen wir am Ende des Prozesses die gleiche Menge an Energie heraus, wie wir in den Prozess hineingesteckt haben.
Der zweite Hauptsatz
Wie kommt es also zu „Energieverlusten“ bzw. was beschreibt die Effizienz eines Prozesses? Betrachten wir die Summe des Energieoutputs, so können wir unterscheiden zwischen der Energie, die wir nutzen können, der sogenannten Nutzenergie, und der Energie, die wir nicht weiter nutzen können. Letztere können wir als Energieverlust bezeichnen. Energie kann aus verschiedenen Gründen nicht nutzbar sein. Vielleicht war sie zur falschen Zeit am falschen Ort. Dies können wir grösstenteils mit Energiespeicher und -transport lösen. Was aber wenn die Energie in der falschen Form vorliegt?
Warum eine Energie in einer nicht-nutzbaren Form anfallen kann, beantwortet uns der zweite Hauptsatz der Thermodynamik. Dieser besagt, dass Energie aus einem Exergie- und einem Anergieanteil besteht. Exergie ist der Anteil einer Energiemenge, der in andere Energieformen umgewandelt werden kann. Im Gegensatz zur Energie kann die Exergie verbraucht werden und ist die Ursache dafür, dass viele im Alltag relevante Energieumwandlungsprozesse irreversibel sind.
Die Energie, die in unserem mit Strom erhitzten Wasser steckt, kann nicht mehr vollständig in elektrische Energie umgewandelt werden. Diese Irreversibilität liegt nicht an der Unzulänglichkeit der heutigen Technik, sondern eben am zweiten Hauptsatz der Thermodynamik.
Die Exergie in unserem Alltag
In unserem Alltag ist die Betrachtung der Exergie in erster Linie relevant bei der Wärmeenergie. Viele bekannte Energieformen wie elektrischer Strom, chemische Energieformen wie Öl und Gas oder mechanische Energie bestehen aus reiner Exergie.
Der Anteil der Exergie von Wärme ist abhängig von dessen Temperaturdifferenz zur Umgebungstemperatur. Die folgende Grafik zeigt den Anteil der Exergie an der Gesamtenergie verschiedener Temperaturdifferenzen. Wir sehen, dass z.B. die Raumwärme in unseren Wohnungen praktisch keinen Exergieanteil mehr hat, selbst wenn es draussen sehr kalt ist.
Anergie ist für sich allein für Prozesse wertlos. Wenn wir die Effizienz eines Energieumwandlungsprozesses bewerten möchten, sind entsprechend nur die Nutzenergie und der Exergieaufwand relevant:
Der Wirkungsgrad des Energieumwandlungsprozesses können wir wie folgt berechnen: Wirkungsgrad = Nutzenergie / Exergieinput
Bei allen Heizungen, die entweder mit chemischer Energie (Holz, Öl und Gas) oder Strom betrieben werden, gibt es keinen Anergieinput und der Wirkungsgrad ist maximal 1. Einen Wirkungsgrad von 1 wird jedoch nur erreicht, wenn keine Anergie aus dem System entweicht. Dies ist häufig bei dezentralen (Infrarot-) Elektroheizungen der Fall, da der Umwandlungsprozess in der Wohnung stattfindet. Bei Verbrennungsprozessen geht ein Teil über den Kamin oder als unbrauchbare Wärme im Heizungsraum verloren und der Wirkungsgrad ist deshalb kleiner 1. Die Wärmepumpe nimmt eine Sonderstellung ein, da sie neben der Exergiequelle Strom auch eine Anergiequelle nutzt und damit Wirkungsgrade grösser als 1 erreicht.
Die Energie in der Kreislaufwirtschaft
Das Konzept der Kreislaufwirtschaft basiert darauf, dass es weder Anfang noch Ende von Prozessen gibt. Stattdessen sollte das Ende eines Prozesses zugleich der Beginn eines neuen sein, wobei Ressourcen nicht verbraucht, sondern kontinuierlich im Wirtschaftskreislauf zirkulieren. Oben haben wir jedoch gelernt, dass dies energetisch nicht realisierbar ist, da Energieumwandlungsprozesse Exergie verbrauchen und somit irreversibel sind. Da wir Exergie nicht erzeugen können, sind wir auf unerschöpfliche Exergiequellen angewiesen.
In diesem Kontext bedeutet "unerschöpflich", dass die Quelle über die gesamte Existenz der Menschheit hinweg verfügbar ist. Hierbei kann man die nächsten Millionen Jahre als Grenze annehmen. Tatsächlich existieren solche Quellen, die wir nutzen können, wie etwa Sonnenenergie, tiefe Erdwärme oder Gezeitenenergie der Meere. Die meisten anderen Energieformen sind entweder von diesen abgeleitet (z. B. Windenergie, Wasserkraft, Umgebungswärme, aber auch Öl und Gas) oder nicht unerschöpflich (wie bestimmte chemische Elemente, z. B. Uran).
Lediglich die Energie aus der Kernfusion von Deuterium und Lithium kann als nahezu unerschöpflich betrachtet werden. Allerdings fehlt uns gegenwärtig noch die Technologie, um diese Energien effizient zu nutzen. Ebenso stellen die Nutzung der tiefen Erdwärme und der Gezeitenenergie unsere heutige Technik noch vor einige Herausforderungen.
Die unerschöpflichen Exergiequellen geben kontinuierlich Exergie ab, die in der Natur durch verschiedene aufeinanderfolgende Prozesse allmählich verbraucht wird – unabhängig davon, ob wir sie nutzen oder nicht. Jedoch gilt: Je weniger natürliche Prozesse vor unseren eigenen Prozessen stattfinden, desto mehr Exergie steht uns zur Verfügung.
In Anlehnung an die vorgegangenen Überlegungen möchten wir die Formel für effiziente Energienutzung wie folgt erweitern: Systemwirkungsgrad = Nutzenergie / Exergieinput aller vorgelagerten Prozesse
Diesen Systemwirkungsgrad sollten wir berücksichtigen, wenn wir Lösungen zur Umgestaltung des Schweizer Energiesystems im Sinne der Kreislaufwirtschaft bewerten. Betrachten wir beispielsweise den Systemwirkungsgrad von herkömmlichen Brenn- und Treibstoffen unter Berücksichtigung aller vorgelagerten Prozesse bis hin zum Ursprung – der Solarenergie – erhalten wir einen sehr niedrigen Systemwirkungsgrad. Unabhängig davon, ob biogene Energieformen fossil sind oder nicht, drückt der geringe Wirkungsgrad der Photosynthese von maximal 6% (typischerweise eher zwischen 0.1% und 2%) den Systemwirkungsgrad stark nach unten. Im Vergleich dazu behält die Photovoltaik immerhin 20% der Exergie der Solarstrahlung als universell nutzbare Energieform - Strom.
Es ist jedoch wichtig zu beachten, dass wir nicht für alle Anwendungen auf einen hohen Exergieanteil angewiesen sind. Laut Bundesamt für Statistik verbrauchten wir 2021 insgesamt 795 PJ (entspricht 221 TWh) Endenergie. Davon entfielen 30% auf Haushalte, von denen wiederum 80% für Heizung und Trinkwarmwasser verwendet wurden, welche einen tiefen Exergieanteil haben. Auch im Dienstleistungssektor und in der Industrie gibt es Anwendungen mit tiefem Exergieanteil. Das bedeutet, dass mindestens ein Viertel der Endenergie einen geringen Exergieanteil aufweisen darf. Dies ist einer der Hauptgründe, weshalb es sinnvoll ist, die Wärme in den Haushalten, wo immer möglich mit Wärmepumpen bereitzustellen.
Zurück zur Kreislaufwirtschaft können wir Folgendes festhalten:
- Mit den vorhandenen, nutzbaren und unerschöpflichen Exergiequellen und ihrer effizienten Nutzung können wir eine Wirtschaft schaffen, die darauf abzielt, künftigen Generationen ähnliche oder bessere Bedingungen zu bieten als heute.
- Für eine effiziente Energienutzung in der Kreislaufwirtschaft ist es notwendig, den Exergieverbrauch aller Vorprozesse zu berücksichtigen. Nutzenergie, die nur einen geringen Anteil an Exergie benötigt, wie z.B. Wärme, sollte daher möglichst nicht mit reiner Exergie erzeugt werden. Deshalb sind Wärmepumpen bei Gebäuden oft die sinnvollste Lösung. Und Photovoltaik ist die perfekte Ergänzung dazu.
Gerne zeigen wir Ihnen das Potenzial einer Exergieoptimierung anhand Ihrer Liegenschaften. Kontaktieren Sie uns!